Das mit der Erwerbsfiktion klingt interessant – das wollen wir doch mal durchspielen. Also: Die Reederei soll verkauft werden und Sie sind der wagemutige Interessent. Was würden Sie tun, wenn es um einen möglichen Erwerb der Reederei zum 1. Januar 2010 ginge?
-
Ihre Kaufentscheidung I: Zunächst würden Sie sich dafür interessieren, „wie der Betrieb so läuft“. Wichtige Hinweise würden Sie aus den Bilanzen und den Ergebnisrechnungen der vergangenen Jahre bekommen. Vor allem würden Sie sich natürlich für die Bilanz zum 31.12.2009 interessieren. Denn hier sind Vermögen und Schulden zu dem Zeitpunkt verzeichnet, zu dem der Betrieb in Ihr Eigentum übergehen soll. Die Differenz zwischen Vermögen und Schulden – das Eigenkapital – können wir auf der rechten Seite der Bilanz (der Passivseite) ablesen. -
Ihre Kaufentscheidung II: Um sich ein klares Bild zu machen, würden Sie den Jahresabschluss des Betriebs entsprechend Ihren eigenen Rechtsvorschriften und Bilanzierungsgrundsätzen „umrechnen“. Im kommunalen Bereich passen wir ihn an unsere kommunalen Rechtsvorschriften sowie an die Ansatz- und Bewertungsvorschriften der Kommune an – das kennen wir schon. Wohlgemerkt geht es hierbei zunächst um die Anpassung zum 31.12.2009 – also zum Ende des Vorjahres. Natürlich müssen wir derartige Anpassungen auch jeweils zum Ende aller folgenden Jahre vornehmen, denn solange der Betrieb zum Konzern gehört, wird er Jahr für Jahr seinen Abschluss nach Grundsätzen aufstellen, die nicht die unsrigen sind. -
Ihre Kaufentscheidung III: Schließlich würden Sie sich für das Vermögen und die Schulden interessieren, die nicht in der Bilanz stehen. Beispielsweise lagert auf dem untersten Deck ein Vorrat an Rum für 1.214 Tage – eine „Stille Reserve“. Solche Stille Reserven (und analog auch Stille Lasten) entstehen dadurch, dass der Zeitwert der Vermögensgegenstände und Schulden ein anderer ist als deren Buchwert. Die Differenzen zwischen Zeit- und Buchwert der einzelnen Vermögens- und Schuldenpositionen (die Stillen Reserven und Lasten also) „decken wir auf“. Natürlich übertragen sich die aufgedeckten Stillen Reserven in die Folgejahre – dafür sorgen wir, indem wir sie „im Konzern buchen“ (wir erinnern uns …). Wenn es um Stille Reserven auf das Anlagevermögen geht, werden wir sie abschreiben – auch das kennen wir schon. Allerdings decken wir die Stillen Reserven immer nur auf, bevor wir einen Betrieb (oder einen zusätzlichen Anteil eines Betriebs) in den Konzern aufnehmen. Sie haben etwas damit zu tun, dass wir den Betrieb „zu Zeitwerten“ erwerben wollen. Nachträglich entstehende Stille Reserven interessieren uns nicht. Warum auch? Stille Reserven sind schließlich in jedem Betrieb etwas ganz Alltägliches.
Aus den drei beschriebenen Aspekten gewinnen wir eine Information über den „wirklichen bilanziellen Wert“ der Reederei. Damit gehen wir in die Kaufverhandlungen.